Im vergangenen August 2023 erlebten wir einen Autofahrenden, der oder die sich offenbar nicht unter Kontrolle hatte.
Auf unserer Demo Critical Mass wurden wir plötzlich an einer Stelle überholt, die sich zum Überholen gar nicht eignet. Zwei Verkehrsinseln begrenzen den Raum, eine Kurve erschwert die Sicht nach vorne und unsere Demo war gut 200 Meter lang.
Das merkte dann auch der oder die Fahrer:in des weißen Kleintransporters sehr schnell und entschied falsch: Rein drängeln, Abdrängen, Radfahrende gefährden, eine Demonstration stören.
Nun, Zeugen gab es genug, eine Anzeige wurde online erstattet und dann mussten wir warten…..
Sieben Monate später habe ich dann doch mal nachgefragt, was denn mit der Anzeige passiert ist? Vergessen, Personalnot, Einstellung des Verfahrens?
Kaum nachgefragt, bekamen wir eine Antwort. Die drei Zeugen wurden von der Polizei zum Geschehen vernommen. Eine Gegenüberstellung wurde zur Sprache gebracht, aber alle Zeugen mussten wohl zugeben, dass sie den Fahrer nach all der Zeit nicht mehr eindeutig wiedererkennen würden. Die Sicht ins Fahrzeug war durch die Karosserieform eingeschränkt und „männlich“ und „etwas älter“ sind viele Verkehrsteilnehmer.
Die Aussagen der Zeugen wurden von der Staatsanwältin abgewogen. Hier das Ergebnis:
„Das Verfahren wird nach §170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Der Beschuldigte hat sich nicht eingelassen. Beweismittel … liegen nicht vor.“
Bescheid der Staatsanwaltschaft Münster, Mai 2024
Und alle fragen sich: Wieso? War doch eindeutig Gefährdung, Nötigung, Kontrollverlust! Die Radfahrenden der Demonstration wurden körperlich bedroht und erlebten Schrecksekunden!
Hier also der Versuch einer juristischen Einordnung:
Die Strafprozessordnung (StPO) regelt die Durchführung eines Strafverfahrens. Der § 170 StPO regelt die Entscheidung , ob Anklage erhoben wird oder eben nicht. Der ermittelte Fahrer wurde sicher aufgefordert, zu den Anschuldigungen Stellung zu nehmen. Bevor jemand zu einer Sache Stellung nehmen muss, darf er oder sie die vorliegenden Zeugenaussagen einsehen. Ein Beschuldigter muss keine Stellungnahme abgeben, die sog. Nichteinlassung. Der Beschuldigte hat sich in diesem Fall einfach nicht geäußert.
Der Staatsanwältin fällt es jetzt also schwer, vor einem Richter die Tat des Beschuldigten eindeutig nachzuweisen. Entweder liegen keine Beweise vor oder sind nicht hinreichend sicher. Demnach wurde das Verfahren eingestellt.
Fazit: Die Sicht auf diesen Vorfall ist natürlich subjektiv. Ein Autofahrer, der offenbar die Kontrolle über sein Verhalten verloren hat, braucht sich letztendlich nicht äußern und wird folglich nicht angeklagt. Der Transporter war ein Firmenfahrzeug, der Fahrer kann betrieblich bedingt wechseln oder ein Kollege kann eine Fahrt übernehmen. Es ist also nicht auszuschließen, dass der Fahrende nicht der Beschuldigte ist – im Zweifel also für den Angeklagten. Was bleibt ist die Rechtsbehilfsbelehrung.
Wir organisieren jeden letzten Freitag im Monat eine Critical Mass Fahrrad-Demo. Wir möchten den Verkehr nicht blockieren, sondern zeigen, dass wir auch Verkehrsteilnehmer sind. Mehr Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer und bessere Radwege wären da schon ein Fortschritt!